Weizen und Unkraut - erst im Rückblick zu erkennen

Predigt zu Silvester 2021 zu Mt 13,24-30

 

Liebe Gemeinde!

Eigentlich ist heute ja nur ein Abend wie jeder andere auch und morgen ist irgendein neuer Tag.

Aber 1582 wurde der sog. Gregorianische Kalender eingeführt, der den 1. Januar zuverlässig als Beginn eines neuen Jahres bestimmen konnte. Und seither und wahrscheinlich auch schon zuvor, als noch der ungenauere Julianische Kalender galt, haben die Menschen diesen Übergang vom alten ins neue Jahr besonders begangen und gefeiert.
Gute Vorsätze gehören dazu – ebenso wie Rückblicke: Rückblicke in Zeitung und Fernsehen, aber auch private Rückblicke.
Und so haben sich auch die Gottesdienste an diesen beiden Tagen entsprechend entwickelt: An Silvester blicken wir vor allem zurück, an Neujahr blicken wir eher voraus.

Spannend wäre nun, zu vergleichen, mit welchen Gedanken, mit welchen Hoffnungen und Befürchtungen wir vor einem Jahr ins Jahr 2021 gestartet sind und was nun tatsächlich daraus geworden ist:
Woran wir uns wahrscheinlich alle noch erinnern, war die damalige 2. Welle der Covid-19-Infektionen. Sie hat Angst gemacht – aber andererseits war die Hoffnung auf die damals gerade begonnenen Impfungen groß und viele glaubten, dass dieser Spuk ab dem Sommer vorbei sein würde.

Dann hatten wir Bundestagswahlen: Das Ergebnis und die Zusammensetzung der neuen Regierung hätten wohl viele nicht so erwartet wie es jetzt gekommen ist…

Und wie sieht es mit den Dingen im privaten Bereich aus?
Da waren sicher manche Urlaubs- und Reisewünsche, die sich nicht erfüllt haben.
Die Schule fand viele Wochen lang nur digital statt, was schwere Auswirkungen auf das Familienleben der jungen Familien hatte.
Studierende lernten sich untereinander nicht kennen, weil das Studium nur digital stattfand und alle zuhause allein in ihren Zimmern saßen.
Und die Alten in den Heimen und die Kranken durften wochenlang nicht besucht werden und dann irgendwann immerhin ein bisschen, aber nur von einer Person täglich usw.

Manche Dinge entwickelten sich viel schwieriger als erhofft, andere wahrscheinlich nicht so dramatisch wie befürchtet.
Dazu passt der Predigttext für diesen Silvesterabend – es ist ein Abschnitt aus dem Matthäusevangelium: (Matthäus 13,24-30)

Jesus legte ihnen ein anderes Gleichnis vor und sprach: Das Himmelreich gleicht einem Menschen, der guten Samen auf seinen Acker säte. Als aber die Leute schliefen, kam sein Feind und säte Unkraut zwischen den Weizen und ging davon.
Als nun die Saat wuchs und Frucht brachte, da fand sich auch das Unkraut.
Da traten die Knechte zu dem Hausvater und sprachen: Herr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesät? Woher hat er denn das Unkraut?
Er sprach zu ihnen: Das hat ein Feind getan.
Da sprachen die Knechte: Willst du denn, dass wir hingehen und es ausjäten?
Er sprach: Nein! Damit ihr nicht zugleich den Weizen mit ausrauft, wenn ihr das Unkraut ausjätet. Lasst beides miteinander wachsen bis zur Ernte; und um die Erntezeit will ich zu den Schnittern sagen:
Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündel, damit man es verbrenne; aber den Weizen sammelt mir in meine Scheune.

Der Hausvater hier beweist Weitsicht. Er weiß, dass Böses und Gutes zu Anfang nicht gut zu unterscheiden geht.
Oder im übertragenen Sinne gesagt: Beim Jahreswechsel können wir noch nicht wissen, was sich als schlecht und was als gut erweisen wird. Beim Rückblick aufs zu Ende gehende Jahr dagegen können wir bei vielen Dingen eher beurteilen, ob sie sich zum Guten oder zum Schlechten entwickelt haben – manchmal reicht aber auch ein ganzes Jahr nicht, um das abschließend zu beurteilen:

Natürlich: Es gibt Dinge, die empfinden wir von Anfang an als schlimm und die bleiben schlimm.
Wenn Menschen zu Opfern von Gewalt oder von schrecklichen Unfällen werden, dann wäre es völlig daneben und geradezu unmenschlich, würde der Pfarrer in der Beerdigungsansprache sagen: Wer weiß, was aus diesem Tod noch Gutes erwachsen kann.

Trotzdem lernen wir mit zunehmendem Alter und zunehmender Lebenserfahrung, dass Dinge sich im Laufe der Zeit überraschend entwickeln können. Eine Krankheit, die mich zwingt, bestimmte Dinge nicht mehr oder anders zu tun, empfinde ich jetzt in der Gegenwart erst mal als schlimm. Aber vielleicht eröffnet sie mir in Zukunft andere Lebens­möglichkeiten, die ich vorher nicht gesehen oder für möglich gehalten hätte. Wer weiß…!

Von daher macht es Sinn, dass der Hausvater im Gleichnis auch das Unkraut erstmal wachsen lässt. Auch das Böse darf sich erst mal entwickeln – und erst später kommt der Zeitpunkt, an dem er und seine Knechte entscheiden, was davon wirklich auszureißen ist.

Jesus zeigt sich hier nicht als Gärtner oder Biologe, der natürlich dem kleinsten Pflänzchen schon ansehen würde, was Unkraut ist und weiß, je früher es entfernt wird, desto besser für die anderen Pflanzen.
Sondern Jesus spielt hier mit dem Gedanken, dass alles erstmal seine Chance kriegen soll, zu etwas Gutem zu werden – auch das Böse. Im Bild des Gleichnisses gesprochen: Auch das Unkraut könnte noch zu einem nützlichen Kraut werden, um das es schade wäre, wenn es man es abreißen würde.
Und zugleich will Jesus vermeiden, dass man beim Ausreißen des Unkrauts eine Nutzpflanze miterwischt, weil man es vielleicht gar zu gründlich macht oder zu schnell entscheidet.

Wenn wir an uns selbst denken und überlegen, wie viel wir schon getan haben, was andere nicht zu schätzen wussten bzw. was wirklich „Unkraut“ war – wie froh können wir sein, wenn wir dann nicht gleich bestraft oder gar ausgerissen wurden!
Und wenn wir darüber nachdenken, was uns alles in diesem Jahr geärgert oder verletzt hat – und sich dann hinterher als doch nicht so schlimm herausgestellt hat…? Oft können wir eben nicht alles gleich ganz überblicken.

Aber blicken wir nun konkret persönlich zurück auf das vergangene Jahr – jeder und jede für sich selbst:
Was ist in diesem Jahr 2021 in meinem Leben Gutes gewachsen – was war wohl eher Unkraut?
Was schien anfangs schlimmer als es sich dann herausstellte?
Welches Problem habe ich aber vielleicht auch unterschätzt und stellte sich dann als schlimmer heraus als zuvor erwartet?
Ja, und natürlich, was alles war schön, was ist geglückt, wofür bin ich dankbar, was hat mein Leben bereichert, was ist mir Gutes gelungen?

Ich möchte Ihnen jetzt ein wenig Zeit geben, selbst ihren persönlichen Rückblick zu halten…

Stille

Wie immer möchte ich an Silvester auch ein wenig Rückblick halten auf das, was in unserer Gemeinde passiert ist – welcher Weizen da aufgegangen ist, welches Unkraut vielleicht auch:
Viel guter Weizen ist sicher in der Weise aufgegangen, dass wir viele Ideen entwickelt haben, wie wir unter den Bedingungen der Corona-Einschränkungen dennoch kirchliches Leben gestalten konnten. Wir konnten auf viele gute Ersterfahrungen aus dem letzten Jahr zurückgreifen, Manches noch verbessern und vervollkommnen. OpenAir-Gottesdienste sind inzwischen ganz normal geworden, ebenso wie eine sommerliche Konfirmation. Auch das Sitzen mit Abstand in der Kirche, das Maske tragen ist selbstverständlich geworden.

Im Kinderhaus haben wir nach den letzten Coronafällen zumindest nur jeweils eine Gruppe schließen müssen und nicht mehr das gesamte Kinderhaus. Und die Impfungen haben unser Personal davor bewahrt, sich allzu leicht von Kindern anstecken zu lassen.
Die Alten in unserer Gemeinde sind nahezu vollständig geimpft – wir hatten bisher keine Corona-Toten zu bedauern, wenn auch viele schon daran erkrankt waren.
Eine gewisse Normalität ist bei den Kasualien zurückgekehrt:
Immerhin 11 Kinder wurden getauft, das ist guter Durchschnitt.
3 Paare ließen sich trauen.
6 junge Menschen feierten Konfirmation – wir haben weiterhin kleine Konfirmandengruppen.
Ungewöhnlich ist die Zahl von Bestattungen. Nur 5 Bestattungen hatten wir in diesem Jahr, das dürfte seit vielen Jahren die niedrigste Zahl sein.

Unkraut nicht im Sinne von Bösem, aber in der Form von Dingen, auf die wir gut verzichten könnten, sind auch zu erwähnen: Rund 100.000,-€ meint die Stadt Neu-Ulm an Erschließungskosten für den Bau des Kreisels vor dem Kinderhaus verlangen zu können. Das sind rund 70% der Gesamtkosten und ist für uns nicht nachvollziehbar. Da werden wir wohl leider vor Gericht gehen müssen.

Aber Weizen wächst auch:
Die Planung des Waldkindergartens nimmt immer konkretere Züge an. Demnächst werden wir einen Bauwagen bestellen können. Dann geht es ans Konzept und die Suche von Personal. Erste Interessierte haben sich schon gemeldet – sowohl pädagogische Fachkräfte als auch Eltern, die ihre Kinder dort unterbringen wollen.

Und so dürfen wir hoffen, dass ganz viel guter Weizen wachsen wird in unserer Gemeinde und wir mit dem Unkraut gut fertig werden – mit Gottes Hilfe.
Und Ihnen allen wünsche ich, dass Sie im Neuen Jahr ganz oft erleben, dass Gutes gelingt und wächst und Schwieriges sich lösen oder zumindest verkraften lässt mit dem Beistand unseres Gottes!

Amen.